Wahlpflichtfach DIY Wissenschaftliche Studie

Einmal Versuchskaninchen und zurück :)

Die Sache mit der Wahl und der Freiwilligkeit

Im zweiten Semester steht auch ein Wahlpflichtfach an. Man muss es nicht unbedingt im zweiten Semester absolvieren, aber so lässt es sich gut in den Stundenplan integrieren und manche sollen künftig für andere Semester gesperrt werden. Daher ist es sinnvoll, wenn man nicht darauf warten will, zu einem bestimmten Fach zugeteilt zu werden oder ob man es sich anrechnen lassen kann (bis man da eine Antwort bekommt, dauert es nämlich seeeeeeeehhr lange) es auch im zweiten Semester hinter sich zu bringen. Nachdem man sich nicht wirklich aussuchen kann, in welchem Wahlfach man landet (s. hier) ist die Bezeichnung „Wahl-“Fach schon ein bisschen irreführend. Es ist eher so, dass man ein Fach zugewiesen bekommt, das nur ein kleiner Teil des Jahrgangs absolviert. Ich kam jedenfalls in DIY – Wissenschaftliche Studien. Was so nach Handarbeitskurs klingt meint: Man ist Versuchskaninchen in einer Studie, muss eine grob umschriebene Substanz schlucken und dann mehrere Messungen über sich ergehen lassen. Was man den Dozenten lassen muss: Auch wenn man abbricht, besteht man trotzdem. Es gibt keine Note (nur bestanden / nicht bestanden) und man wird nicht gezwungen, es bis zum Ende durchzuziehen. Ob man überhaupt teilnimmt, ist aber nur halb freiwillig, schließlich ist es ein Wahl-PFLICHT-Fach und der Wechsel in ein anderes Wahlpflichtfach nicht so einfach möglich. Zudem begegnet man dem Dozenten auch in anderen Settings (mündlichen Prüfungen) möglicherweise wieder, d.h. schon allein deshalb, überlegt man sich gut, wie man sich verhält. Und last but not least hilft einem die Abbruchmöglichkeit wenig, wenn man vorher zu grob informiert wird, was auf einen zu kommt (also keine gute Entscheidungsgrundlage hat) und dann in einer Art Tunnelspiel steckt. Selbst wenn man die Messung abbricht, hat man es ja schon geschluckt. Und bis zum Abschluss der letzten Messungen des Tages soll man auch nichts dagegen unternehmen. Danach kann man sich selbst überlegen, wie man die Substanz schnellst möglich wieder los wird und schnell wieder fit wird. Bei mir hat es jedenfalls 4 Tage gedauert bis sich alles wieder grob normalisiert hat. Vornehmen sollte man sich in dieser Zeit jedenfalls nichts. Wenn man das Placebo bekommt oder es doch gut geht – umso besser.

Ablauf & Inhalt

Ansonsten ist es eigentlich ein geschenktes Fach. Zuerst gibt es zwei Online Vorträge, bei denen ein Link zu einem kollaborativen Dokument verteilt wird (das ist etwas tricky und funktioniert nicht bei jedem, aber dafür gibt’s ja Flüsterpost = messenger). In diesem muss man hauptsächlich seinen Namen und seine Matrikelnummer eintragen. Wenn man engagiert ist, beteiligt man sich noch an einer Übung, in der man einen Satz schreiben soll, der nicht bewertet wird. Und wenn man zum Dozenten besonders nett sein will, sagt man noch ab und zu „ja“, wenn er frägt, ob ihm noch jemand zuhört. Vermutlich weiß er selbst, dass ein gewisser Teil zwar eingeloggt ist, aber auf lautlos geschalten hat. Und manche loggen sich auch gleich wieder aus – „technische Probleme“, was soll man machen. ;)

Der Präsenzteil besteht aus zwei Messungen, zu denen man sich anmeldet bzw. angemeldet wird (wenn man es verschläft) und nüchtern erscheinen sollte. Auch sonst sollte man nicht allzu viel an den Mess-Tagen essen (also am besten von 2 Uhr nachts bis nach der letzten Messung zwischen 14 und 17 Uhr gar nichts, wobei das in unserem Jahrgang nicht mehr so streng gehandhabt wurde) und das Mineralwasser vom nächsten Supermarkt trinken (bekommt man gratis, inklusive einem Plastikbecher). Dann muss man bei einem Termin ein stark salzig schmeckendes Placebo (NaCl) zu sich nehmen (man bekommt es kaum runter) und einige Messungen über sich ergehen lassen. Beim anderen Termin bekommt man ein leicht salzig, leicht bitter schmeckendes Verum (irgend eine Mischung mit PO43-). Welches man wann bekommt ist natürlich streng geheim ziemlich offensichtlich (Geschmack, Wirkung). Die Messungen bestehen aus Blutabnahmen, Abgaben von Urinproben (in Litermessbechern!) und Messung von verschiedenen Parametern des Herz-Kreislauf- und Nervensystems (Impedanzmessung, Puls, Blutdruck, EKG etc.). Parallel muss man Merk- und Atemübungen machen und Smalltalk führen. Dabei hatte ich ein witziges Erlebnis: Plötzlich fiel ein Satz, den ich wortwörtlich, mit der exakt gleichen Stimme und im gleichen Tonfall schon mal gehört hatte, verbunden mit genau derselben Gestik. Erst dachte ich an ein Déjà-vu Erlebnis, aber dann fiel mir ein wo: Beim MedAT. Es stellte sich heraus, dass mein Impedanzmesser auch beim MedAT für meinen Block zuständig war. Damals sagte er am Schluss (eigentlich zu meiner Sitznachbarin) „Wir sehen uns am Campus“, mir raunte er ein „ebenso!“ zu. Ich glaube ich war ihm damals schon unsympathisch und ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn je wiedersehen würde. Tja, man sollte sich überlegen, was man sich oder anderen wünscht. ;)

Zwischendrin sind laaaaange Wartezeiten, die ich recht belastend fand, weil man nicht wirklich seine Ruhe hat (jedenfalls ich nicht). Theoretisch dürfte man Lernen… Ich hab erst gegen eine Art Nervenzusammenbruch angekämpft, weil das praktisch nicht möglich war und irgendwann hab ich’s so akzeptiert, wie’s ist. Welcher Stress da wohl gemessen worden ist?! Danach gibt’s noch mal eine Online-Präsentation, bei der in Schriftgröße 2 die quantitative Auswertung gezeigt wird. Anschließend werden die Ergebnisse verkündet, die da waren:

  1. Die Gruppe letztes Jahr war einen Tick besser beim Gedächtnistest, hatte aber mehr im Verhältnis viel mehr Stress. Wir sind so gesehen der coolere Jahrgang. ;) Vielleicht wurde ihnen auch einfach erklärt, wie man die richtigen Antworten auswählt?! Egal.

  2. Zwischen Placebo und Verum gibt es keine signifikanten Unterschiede bzgl. der Merkfähigkeit, aber mit Blick auf die Hämodynamik. Was das genau heißen soll, wurde nicht präzisiert.

DIY-WahlfachIch kann nur sagen: Meine Blutdruckamplitude war bei der Messung am Montag > 60 (was sie sonst nicht ist), mir war schwindlig und ich hatte Kopf-, Bauch-, Brust- und Rückenschmerzen. Außerdem war ich ab dem Nachmittag so schwach, dass ich kaum mehr aufstehen konnte. Zuerst konnte ich wegen dem Unwohlsein / der Schmerzen eine Nacht fast gar nicht schlafen. Und dann war ich sooo müde, dass ich 2 Tage fast ganz verschlafen hab. Nach 4 Tagen (am Freitag) wars dann wieder gut. :) Von der Blutabnahme hab ich noch eine Schwellung (ca. 2 cm mehr Umfang als auf der anderen Seite), aber das wird hoffentlich auch bald wieder. Also man übersteht’s und es gab auch viele Leute, die weniger Probleme hatten, aber auch einige, die es mir nur zugeraunt und nicht offen darüber geredet haben. Soweit ich es mitbekommen habe, ist es aber bei jedem wieder gut geworden.

Abschließend hatte man dankenswerterweise noch die Möglichkeit, seine individuellen Messergebnisse anzufordern, die man dann irgendwann zugeschickt bekommt. Man sollte nur eine Email schreiben, was von den Ergebnissen man genau haben möchte, also hab ich geschrieben „alles bitte“. Bin mal gespannt, was da kommt und wie es ausgefallen ist.

Das war’s!

Kritisches Résumé

Was ich gut fand an dem Fach, war mal den Ablauf einer klassisch schulmedizinischen Studie kennen lernen zu können und zu erleben, wie es ist, dabei eine Versuchsperson zu sein. Und ja, man fühlt sich tatsächlich so schlecht, wie ich es mir vorgestellt habe. Noch mal werde ich das nicht machen, wenn es sich vermeiden lässt. Aber es war mal eine interessante Erfahrung. Die von einem Grazer Dozenten gehaltenen Vorträge vermittelten teils interessanten Hintergrundinfos, die man so nicht so einfach nachlesen kann. An manchen Stellen waren sie aber auch unnötig langatmig (man hatte das Gefühl, er muss irgendwie die Zeit füllen), zum Fremdschämen und zum Lachen, wenn es nicht zum Weinen wäre. Bspw. erzählt er, das er manchmal übergewichtige Patientinnen hatte. Die waren auch sehr nett. Aber obwohl er sich ganz viel Mühe gab, sie auf ihr Aussehen hinzuweisen, ist keine einzige ein zweites mal gekommen. Und das obwohl er doch praktisch der Spezialist dafür ist und er ihnen ausgiebigst nahegelegt hat. Tja – warum wohl. Dass ihm bewusst war, dass ihm kaum einer zuhört, deutete er an ein paar Stellen an. ;) Vielleicht haben die anderen auch nur nicht auf seine Interaktionsversuche reagieren wollen. Ich hab mir jedenfalls die Zeit genommen – Prüfungsstress hin oder her – ihm zuzuhören, während ich mich um den Haushalt kümmerte.

Bei den Messungen ging’s organisatorisch drunter und drüber. Vorbereitet waren sie so halbherzig. Das Organisations- und Kommunikationschaos bewegte sich auf dem üblichen Niveau – ideal für eine wissenschaftliche Studie. Es gab niemand, der einen Überblick hatte und wusste, was, wann, wo, wie zu tun ist. Man konnte schon froh sein, wenn jemand wusste, was seine Aufgabe ist und wie er sie erledigt. Für einen Organisationsfreak wie mich ein Graus. Dazu kam, dass teilweise… vermutlich im Einkauf günstige Materialien verwendet wurden (z.B. Blutdruckmanschetten), sodass manche Messungen nicht oder nicht vernünftig durchführbar waren. Irgendwer kam dann noch zwischenzeitlich auf die Idee, dass die Mitarbeiter (StudentInnen u.a. aus dem Jahrgang über uns!) uns bei den Blutabnahmen und Messungen Siezen sollten für mehr Genauigkeit, in den langen Pausen durften wir uns Duzen. Ob das die Messergebnisse wesentlich verbessert?! Bei der Auswertung hat jedenfalls noch nicht mal mein Alter gestimmt…

Womit ich gerechnet habe, aber was ich schade fand und auf jeden Fall anders machen würde, müsste ich so eine Studie für eine Arbeit machen, ist dass es gar keine Möglichkeit für die Versuchspersonen gab sich zu äußern. Wir wurden zu Objekten degradiert und es wurde so getan als wären wir abgesehen vom gefühlten Geschlecht (nicht biologischen – das hat mich sehr irritiert, gerade in diesem Zusammenhang!) standardisierte Gegenstände. Dass jeder seine Besonderheiten hat und dass sich durch eine Befragung wertvolle qualitative Daten gewinnen lassen würden, hat niemand interessiert. Man wird wie ein Gegenstand behandelt und beurteilt, ohne die Möglichkeit, irgendwas dazu zu sagen. Gerade, weil so ein Chaos herrschte, aber auch weil keine noch so genaue, detaillierte Messung die individuelle Sicht erfassen kann, die so viel mehr an Informationen liefern kann, fand ich das schade. Sollte ich je die Chance haben, so etwas zu machen und das einzubeziehen, würde ich es tun, weil es aus meiner Sicht einfach sooo wichtig ist und weil es den Versuchspersonen ein besseres Gefühl vermittelt.

Noch mehr irritiert hat mich aber der Umgang mit Risiken. Die Aufklärung stellt die Basis für die informierte Einwilligung dar. Mangelhafte Aufklärungen sind einer der häufigsten Behandlungsfehler. Ein Grund mehr, die Aufklärung so sorgfältig wie möglich zu machen und fundiert zu informieren. In diesem Fall bestand die Aufklärung aus Phrasen wie „Sie bekommen irgendwas mit Phosphat und NaCl“, „eigentlich ist es ganz harmlos“, „das nimmt man ja auch mit jedem Essen auf“ (warum dann ein spezielles Verum?!), „eigentlich kann ja gar nichts passieren“ und „bei der Blutabnahme sticht man mit einer Nadel rein, das tut eben weh, aber sonst eigentlich nichts“. Ich wollte schon fragen „und uneigentlich?“, aber hab mich nicht getraut. Was bekommt man eigentlich genau? Welche Auswirkungen kann es tatsächlich haben? Wie kann man es danach möglichst schnell wieder ausscheiden? Wie viele Tage danach sollte man sich besser nichts vornehmen? Dazu wurde nichts gesagt. Beim zweiten Termin wurde stolz verkündet, dass bisher nur leichte Magenschmerzen aufgetreten seien, sonst nichts. Wurden die TeilnehmerInnen gefragt? Gab’s eine Nachkontrolle oder wenigstens einen „neutralen“ Ansprechpartner? Ich hab nichts davon mitbekommen. Die einzige benannte Ansprechperson war der Dozent selbst. Ein Mensch, der immer wieder betont, wie wenig Zeit er hat, am liebsten per Mail kontaktiert wird und viele Mails an seine nicht-deutschsprachige Assistentin delegiert, mit der es immer wieder Verständigungsprobleme gibt. Dazu kommt, dass er ein persönliches Interesse an der Studie hat, also nicht unbefangen und neutral sein kann. Und wer gibt sich die Blöße, einem Dozenten, dem man vielleicht morgen in einer mündlichen Prüfung gegenüber steht, darüber zu informieren? Medizinstudenten zeigen keine Schwäche – ist sowas wie ein ungeschriebenes Gesetz. Ersatzweise wurden die Mitarbeiter informiert. Antworten wie „du bist eben nicht entspannt“, „du hast was falsches / zu viel / zu wenig gegessen“ oder „das ist die Psyche“ waren Standard. Am Verum kann und darf es natürlich nicht liegen. ;) Klar gab es Leute, die kaum Probleme hatten. Das freut mich für sie! Es gab aber auch Leute, die dann gehindert an normaler Alltagsgestaltung mit vielen Fragezeichen im Kopf allein zu Hause saßen. Immerhin kam mir irgendwann ein Geistesblitz, auch wenn mein Gehirn nur auf Halbmast funktionierte. Gepaart mit einer gut gefüllten Hausapotheke und wahrscheinlich auch von selbst durch natürlich ablaufende Regulationsprozesse wurde es innerhalb von ein paar Tagen wieder besser. Jetzt muss nur noch die Schwellung von der Blutabnahme weg und dann ist wieder alles gut.

Und damit kann ich jetzt auch unter recht lockere Wahlpflichtfach einen Haken setzen! :)

STUDIUM
#2.Semester #MedizinstudiumLinz #Wahlfach #Studie

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