Und sie bewegt sich doch...
Beschlüsse des Ärztetags zum Thema Homöopathie - ein Kommentar
Irgendwann in grauer Vorzeit in der Schule habe ich mal gelernt, dass Deutschland rein von demokratisch gewählten VertreterInnen regiert wird und Exekutive, Judikative und Legislative unabhängig voneinander arbeiten. Das wurde mir so eingetrichtert, dass ich umso überraschter war, als ich eines Tages in der Zeitung las, dass die deutsche Judikative der Exekutive untergeordnet ist (mit Ausnahme des BVG). Das überraschte mich so sehr, dass ich das gleich in mehreren Quellen nachprüfte.
Mittlerweile ist es ein alter Hut, dass auch der erste Teil der Aussage so nicht immer gilt, z.B. in der viel gescholtenen EU, die einst basierend auf einer tollen Idee gegründet wurde und viele Vorteile für Normalmenschen mit sich bringt, aber werden da alle Entscheidungen von wirklich, wirklich von demokratisch gewählten VertreterInnen getroffen? Auch die deutsche Wahlrechtsreform war kein Fortschritt in Richtung Demokratie. Eine weitere nicht ganz so demokratische Organisation ist der alljährlich stattfindende deutsche Ärztetag. Zwar werden durch diverse Wahlen Delegierte bestimmt, die dann dort teilnehmen dürfen, aber nicht jede/r BundesbürgerIn darf an dieser Wahl teilnehmen. Das wäre egal, würden die dort getroffenen Beschlüsse ausschließlich ÄrztInnen betreffen. Oder wären wenigstens die Beschlussanträge fachlich korrekt und würden die dort getroffenen Beschlüsse, Forderungen und Empfehlungen wenigstens auf einer vernünftigen fachlichen Basis stehen (medizinisch, rechtlich etc.), statt auf wirtschaftlichen und politischen Interessen und subjektiven Vorstellungen. Tun sie aber leider nicht immer. Man könnte darüber lachen wie über die Schildbürger.
Nur: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die dort regelmäßig getroffenen Beschlüsse einen gewissen Einfluss auf die Gesundheitspolitik haben (die alle betrifft), und auch auf das, was ÄrztInnen dürfen und damit PatientInnen bekommen, die selbst aber nicht teilnehmen oder Vertreter entsenden dürfen. Ebenso werden frei Forderungen bzgl. anderer Branchen und Gesetze gestellt, die z.B. primär Apotheken oder Heilpraktiker oder andere Heil- und Gesundheitsberufe betreffen. Ein ganz schönes Missverhältnis also zwischen den wenigen auserwählten Leuten, die VertreterInnen wählen dürfen, und den Menschen, die die dort getroffenen Entscheidungen betreffen. Demokratisch ist das aus meiner Sicht nicht wirklich. Auch Freiheit und Selbstbestimmung scheinen nicht wenigen Delegierten suspekt zu sein.
Zwei der diesjährigen Beschlüsse möchte ich kommentieren: „Der 128. Deutsche Ärztetag 2024 weist Bestrebungen und Versuche Dritter zurück, die ärztliche Weiterbildung zu steuern oder zu quotieren. Ebenso wird jede Vorgabe von Dritten für Ärztinnen und Ärzte in der Wahl ihrer Facharzt-Weiterbildung ab“
Über diesen Beschluss musste ich fast schon lachen. Der Berufsstand möchte also nicht, dass „Dritte“ (d.h. Vertreter anderer Berufsgruppen?) sich in die ärztliche Weiterbildung einmischen. Und umgekehrt? Gilt das leider nicht. Sowohl auf der großen politischer Bühne als auch im Umgang mit einzelnen Menschen / PatientInnen gehören ÄrztInnen zu einer Berufsgruppe, die sich mit Vorliebe in anderer Leute Angelegenheiten einmischt, selbst wenn es noch nicht mal irgendeinen Bezug zu etwas medizinischem hat oder weder sie noch irgendwer anders einen Vorteil dazu hat. Ein Phänomen, das ich immer wieder beobachtet habe. Erst vor Kurzem erklärte mir auch eine Studienkollegin, dass der Zugang zum Heilpraktiker-Beruf beschränkt, also quotiert werden müsste. Damit täte sie den HPs ja was Gutes, weil das Ansehen dann steigen würde?! Außerdem wünschte sie sich eine Fremdkontrolle der Ausbildung. D.h. nicht HeilpraktikerInnen selbst sollten ihrer Meinung nach die Aus- und Weiterbildung organisieren (so wie es in den letzten Jahrzehnten wunderbar funktioniert hat), sondern ÄrztInnen sollten das tun. Warum? Weil sie ExpertInnen für den Heilpraktikerberuf sind? Aber Ärzte können ihre Weiterbildung selbst steuern?! Weil sie auch Experten für ihre medizinische Ausbildungen sind? Manchmal kann man sich nur wundern. Zumindest schmunzeln ist drin.
Auch über einen weiteren Beschluss kann man sich nur wundern. Darin wird u.a. gefordert, dass der Gesetzgeber gebeten wird Maßnahmen zu ergreifen, dass Homöopathie weder als Kassenleistung abgerechnet werden kann, noch „als Entität mit Sonderstatus in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) Erwähnung findet“. Darüber hinaus fordern die Delegierten, dass die „rechtliche Bewertung von Homöopathika als Arzneimittel, einhergehend mit einer Apothekenpflicht“ beendet werden soll. Die Arzneimitteleigenschaft von Homöopathika solle überdacht werden.
Darüber kann man in mehrerlei Hinsicht nur den Kopf schütteln. Erstens wird niemand gezwungen, Homöopathika (die eine weite Bandbreite umfassen, hier aber auf ein Stichwort reduziert werden – vermutlich aus Ahnungslosigkeit) zu verwenden. Weder als TherapeutIn, noch als PatientIn. Wenn einem eine Diagnose- oder Behandlungsmethode nicht gefällt (aus welchen Gründen auch immer), kann man sie einfach ignorieren. Warum also überhaupt dieser Antrag? Keine eigenen Probleme? Neidisch auf den medizinischen Erfolg? Angst irgendwann vor entgangenem Profit, auch wenn es vergleichsweise Peanuts sind? Weil man cool sein möchte? Oder löst allen das Wort Homöopathie so einen starken Reiz aus, sodass eine emotionale Reaktion provoziert wird?
Zweitens gab es ja erst vor Kurzem eine erfolgreiche Petition, die innerhalb weniger Wochen immerhin von 58516 Menschen unterschrieben und darin den Erhalt von Homöopathie als Kassenleistung forderten. Lauterbach setzte das Votum überraschend schnell um und entfernte die Streichung kommentarlos aus einem Gesetzentwurf zu einem anderen Thema, in den er sie hinein geschummelt hatte, um sie klammheimlich durchzubringen. Man könnte auch sagen: Er vermied die Diskussion. Aber ob sie nicht in einem anderen künftigen Gesetzentwurf wieder rein gemogelt wird, ist damit noch längst nicht gesagt. Das Thema ist also noch nicht vom Tisch. Der Petitionsausschuss tagte übrigens trotzdem, mit einem leicht positiven Ergebnis. Zum einen tat der Regierungsvertreter Dr. Franke überraschend kund, selbst positive Erfahrungen mit Homöopathie gemacht zu haben. Zum anderen erläuterten die Petenten mit Verweis auf die Studienlage, inwiefern Homöopathika eine Wirkung über den Placebo-Effekt hinaus haben.
Umgekehrt konnte der Regierungsvertreter zwar die Meinung des Gesundheitsministers wiedergeben, aber keine Belege und Begründungen für seine Aussagen liefern, z.B. warum es überhaupt notwendig sein soll, homöopathischen Leistungen als Satzungsleistungen zu streichen oder für Schadensfälle durch den Einsatz von Homöopathie (auch nicht für die angebliche mangelnde Aufklärung oder die Verzögerung der schulmedizinischen Behandlung). An mehreren Stellen wurde dagegen betont, dass Schulmedizin und Homöopathie nicht zwingend gegensätzliche Ansätze sind, sondern meist Hand in Hand gehen. Zudem erfolgt die Anwendung / Verordnung von medizinischem Fachpersonal, das schulmedizinische Fachkenntnisse nachgewiesen hat, also diese Thematik auch nicht außer acht lässt. Warum – wenn ein demokratischer Prozess den Willen der BürgerInnen bereits offengelegt hat – fassen Ärzte dann also überhaupt diesen Beschluss?! Ernst nahm die Mehrheit der ÄrztInnen dort ihre KundInnen und den Bürgerwillen anscheinend genauso wenig wie die homöopathisch arbeitenden HeilpraktikerInnen und ÄrztInnen.
Drittens ist das Problem an den Antrag die Übergriffigkeit. Wenn in letzter Konsequenz die erbrachten Leistungen nicht mehr abgerechnet werden können – wie können sie dann weiterhin erbracht werden? Die ÄrztInnen des Ärztetags entscheiden damit ja nicht nur über ihre immerhin gut 6000 KollegInnen, deren Portfolio u.a. Homöopathie umfasst, und schränken sie in der Ausübung ihrer Berufsfreiheit ein. Sie urteilen auch überheblich über eine Disziplin, in der sich vermutlich die wenigsten, die dafür gestimmt haben, ausgebildet haben und verunmöglichen PatientInnen die freie Wahl der Therapie und TherapeutInnen. Was für eine Anmaßung!
HeilpraktikerInnen könnten sich dafür oberflächlich betrachtet bedanken. Wenn ÄrztInnen Homöopathie nur noch erschwert oder gar nicht mehr anbieten können – wo sollen die PatientInnen hin? Natürlich zum Heilpraktiker! Nur: Wenn ärztliche Leistungen in diesem Bereich nicht mehr von den Kassen erstattet werden, wie lange werden sie dann noch erstattet werden, wenn Heilpraktiker sie erbringen? Ziehen die privaten Krankenversicherungen nach? Verkommt Homöopathie zu einer elitären Methode, die nur noch Menschen zuteil wird, die es sich leisten können, neben den verpflichtenden Abgaben an die Krankenversicherung auch noch ihre Behandlung selbst zu zahlen, also praktisch doppelt zu bezahlen? Und: Wenn Homöopathika (das ist eine große Produktpalette, hinter der sich teilweise auch pflanzliche Mittel verbergen) nicht mehr vernünftig verkauft werden können und damit nicht mehr hergestellt werden – wie sollen sie dann noch für die Anwendung in der Praxis oder von Patienten erworben werden?
Darüber hinaus: Ist das wirklich nur ein singuläres Phänomen? Oder wo wird als nächstes in die Berufsfreiheit und PatientInnen-Autonomie eingegriffen?
Egal, wie man zu Homöopathie steht – es gibt sehr viele Gründe gegen diesen Beschluss zu sein. Es geht um unsere Grundrechte! Zumal die Auswirkungen dieses Beschlusses eben nicht „nur“ die Berufsfreiheit von ÄrztInnen, sondern auch PatientInnen, HeilpraktikerInnen, Apotheken und viele andere Gruppierungen betrifft. Einfach erschreckend. Und in Bezug auf den anderen Beschluss: Genau das, was sie sich von anderen verbitten, tun sie hier selbst in wesentlich größerem Ausmaß. Wäre es nicht so traurig, könnte man darüber lachen.
Das vierte Fragezeichen ist die Qualitätssicherung. 2022 wurde beschlossen, dass Homöopathie aus der Musterweiterbildungsordnung (für ÄrztInnen) gestrichen wird. Viele Landesverbände schlossen sich an. Jetzt sollen Homöopathika den Arzneimittelstatus verlieren. D.h. jeder soll etwas, das sich Homöopathie nennt, verkaufen dürfen. Während bei HeilpraktikerInnen aus Gründen der Qualitätssicherung eine strenge Regulierung gefordert wird, die zum Ende dieses tollen Berufs, wie wir ihn heute kennen, führen könnte, wird hier bewusst auf Qualitätssicherung verzichtet? Muss ich das verstehen? Obwohl ich kein Fan von Regulierungen, Rezept- und Apothekenpflicht bin – das ist ebenso erschreckend.
Und noch ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Die Idee, Gedankengut, das man nicht versteht oder das eigenen Machtansprüchen zuwiderläuft, nicht zu tolerieren und anderen verbieten zu wollen, ist ja keine neue. Auch z.B. in China gab es gut 200 Jahre v. Chr. eine groß angelegte Bücherverbrennung. Es wurden sogar Menschen mit unliebsamen Meinungen bei lebendigem Leib begraben! Auch wenn einige medizinische Literatur davon formal ausgenommen war, ging viel Wissen dabei verloren. Allein die Angst vor Ausgrenzung und Strafe führt dazu, dass sie nicht mehr gelesen und angewendet wurde. Das Phänomen wiederholte sich im Lauf der Geschichte unzählige Male. Meistens ging es dabei um den Versuch, die Erinnerung an unliebsame Ideen auszumerzen, und übergeordnet um Macht und Einfluss. Parallel dazu wurden oft erwünschte Ideologien verbreitet. Natürlich sind die Beschlüsse des Ärztetags keine Bücherverbrennung. Trotzdem läuft es darauf hinaus, dass die Wissensvermittlung / -aneignung und Anwendung, Vertrieb bzw. Konsum eines relativ breiten Spektrums an Methoden und Produkten, die sich irgendwie unter dem Schlagwort „Homöopathie“ subsumieren lassen, pauschal zumindest erschwert wird, wenn nicht gar verunmöglicht. Haben ÄrztInnen, bei denen man annehmen könnte, sie wären gebildete Menschen und könnten Menschen mit anderen Erfahrungen und Sichtweisen wenigstens tolerieren, so ein mittelalterliches Verhalten wirklich nötig?
Einen Lichtblick gab es dann doch. Es war keine so klare Entscheidung, wie es sich die homöopathiefeindlichen Lobbyorganisationen wie die INH und GWUP gewünscht hätten, denn den 116 ja-Stimmen standen sage und schreibe 97 nein-Stimmen gegenüber. Das ist eine ganze Menge. Entschieden wurde die Frage letztlich über die Enthaltungen. Es besteht also allgemein betrachtet noch das Potential Unentschlossene von der Wichtigkeit von Grundrechten zu überzeugen, unabhängig von ihrer Meinung zur Homöopathie. Auch wenn Homöopathie kein Allheilmittel ist – ich fände es unglaublich schade, wenn diese vielfältigen Methoden und Präparate, die sich unter dem Stichwort verbergen, verloren gängen, weil ich damit schon viele gute Erfahrungen gemacht habe. Die Hoffnung, dass sich letzten Endes Vernunft und Menschlichkeit durchsetzen, stirbt zuletzt.
Topi Pigula, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
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