Johannes Kepler

Ein streitbarer Freigeist und sein Einfluss auf die Medizin

Johannes Kepler ist der Namensgeber der jku. Anlass genug, sich mal mit ihm zu beschäftigen. Was für ein Mensch war er eigentlich und was hat er in Linz gemacht?

Der Naturphilosoph, Naturwissenschaftler und Theologe Johannes Kepler (1571 – 1630) wohnte 14 Jahre in Linz und verfasste teilweise hier (und größtenteils in Prag) seine bekanntesten Thesen. Heute ist Kepler mehr denn je in der Stadt allgegenwärtig: An einem seiner beiden ehemaligen Wohnhäuser erinnert eine Gedenktafel an ihn. Im anderen wurde 2009 der Kepler Salon eröffnet. Dieser wird für Vorträge und fachliche Diskussionen über die alltägliche Anwendbarkeit neuster Forschungserkenntnisse genutzt und bereichert die KeplerLinzer Kulturszene. Wer seine Original-Handschrift bestaunen will, kann das in der oberösterreichischen Landesbibliothek tun. Sein Denkmal ist am Schlossberg ausgestellt. Daneben wurden auch einige Einrichtungen nach ihm benannt: Eine Sternwarte, ein Zusammenschluss von Krankenhäusern und eine Universität.

Ob er sich darüber gefreut hätte? Man kann ihn leider nicht mehr fragen. Mit Blick auf seinen Werdegang war zeitlebens ein sehr kritischer, unkonventioneller Mensch mit turbulentem Lebenslauf, der für seine Überzeugung und Ziele eintrat und gar nicht daran dachte, sich unterzuordnen, auch wenn es für ihn und seine Familie gravierende Probleme mit sich brachte und er zeitlebens in Armut leben musste. Stur ellenlange, teils unverständliche Präsentationen stupide auswendig zu lernen, Meinungen unkritisch zu verinnerlichen und wiederzugeben, sich in Hierarchien einzufügen und wider besseren Wissens gegen seine Überzeugung zu handeln wäre eher nicht sein Ding gewesen. ;)

Ruhm und Ehre bekam er vielleicht gerade deshalb erst nach seinem Tod. Bekannt ist er vor allem für seine berühmtesten Thesen, die Kepler’schen Gesetze, die er eigentlich nur deshalb unter seinem Namen veröffentlichen konnte, weil sein Chef kurz vor der geplanten Veröffentlichung unter mysteriösen Umständen an einer Quecksilberintoxikation verstorben sein soll. Zufall? Böse Zungen beschuldigten ihn des Mordes. Zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte es ihm aber bis heute nicht. Folgende Thesen stellte er jedenfalls auf:

  1. Die Planeten bewegen sich auf elliptischen Bahnen um die Sonne
  2. Die Verbindungslinie zwischen den Planeten und der Sonne überstreicht jeweils im gleichen Zeitraum eine gleich große Fläche
  3. Das Verhältnis der quadrierten Umlaufzeiten der Planeten entspricht dem Verhältnis ihrer mittleren Entfernungen hoch 3

Mit Blick auf MedAT und das Medizinstudium (Optik) ist vor allem das ebenfalls von ihm entwickelte Reflexionsgesetz relevant, das besagt, dass der Einfallswinkel eines Lichtstrahls gleich dem Ausfallswinkel des reflektierten Lichts ist.

Weniger bekannt ist, dass er auch bei privaten Angelegenheiten seine Probleme mit mathematisch-physikalischen Ansätzen zu lösen versuchte. Als er z.B. im Weingarten (etwas außerhalb von Linz) wohnte, trank er auch gern das ein oder andere Glas Fass Wein. Als notgedrungen sparsamer Mensch wollte er da schon genau wissen, wie viel Wein tatsächlich im von ihm gekauften Fass war, vor allem als er anlässlich seiner zweiten Hochzeit gleich etliche Fässer bestellt hat. Zur Bestimmung des Volumens maß der Verkäufer die Diagonale quer durchs Fass und schätzte damit den Rauminhalt ab. Für Kepler ein Unding, weil seiner Meinung nach die vielen gelieferten kleineren Fässer mit breiterem Boden bei gleicher Diagonale ein relativ gesehen ein kleineres Volumen als die größeren Fässer mit schmalem Boden beinhalteten, von denen er nur wenige erhalten hatte. Es muss ihn so gestört haben, dass er – pingelig wie er war – in den beiden Folgejahren die „Nova Stereometria Doliorum Vinariorum“ (Neue Inhaltsberechnung von Weinfässern) entwickelte, die noch heute Gültigkeit besitzt.

Doch nicht nur im Kleinklein, auch mit seinen drei weltbekannten Gesetzen eckte er gewaltig an. Und das nicht nur beim kleinen Weinhändler von nebenan, sondern bei wesentlich mächtigeren Gegnern. Nachgeben? Kam für ihn nicht in Frage. Also versuchte er die Wogen zu glätten und die Brücke zwischen dem geozentrischen Weltbild der damals alles dominierenden religiösen Vorstellungen und seinen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen über die ellipsenförmige Bewegung der Planeten um die Sonne zu schlagen. Doch selbst sein bekannter Beschwichtigungsversuch wirkte provozierend. Zitat: „Es gibt nichts Wunderbareres, - nichts, was die Weisheit des Schöpfers bei den Verständigen heller bezeugt, als die Bewegung der fünf Planeten. Wenn es gar so dunkel ist in deinem Leben, sieh doch einmal nach, ob es nicht am Ende daher kommt, dass alle deine Fensterläden verschlossen sind.“

Der Ketzerei beschuldigt, musste er immer wieder fliehen, um nicht auf dem Scheiterhaufen zu landen. Dieses Schicksal drohte übrigens nicht nur ihm, sondern auch seiner Mutter Katharina, einer gläubigen Frau mit Interesse an Astronomie und Naturwissenschaften. Sie vermittelte ihm seinen Glauben, weckte in ihm die Begeisterung für Astronomie und lehrte in beides zu verbinden. Gemeinsam bestaunten sie 1577 einen Kometen und drei Jahre später eine Mondfinsternis. Zum Verhängnis wurde ihr ihr Interesse für Heilkräuter. Schließlich wurde sie aufgrund des Verdachts, eine Hexe zu sein, verhaftet. Nur mit hohem persönlichen Einsatz (den viele Zeitgenossen kritisch betrachteten und nicht nachvollziehen konnten!), seinen angeeigneten Rechtskenntnissen und dank der Unterstützung von Kollegen gelang es ihm, sie haarscharf vor dem Scheiterhaufen zu bewahren. An den Folgen der Folter starb sie dennoch nur ein halbes Jahr nach der Haftentlassung.

Diese grauenvollen Zeiten gehören zum Glück der Vergangenheit an. Die merkwürdige Einstellung, alles zu verteufeln, was nicht von irgendwelchen nicht näher definierten Instanzen („die Wissenschaft“) „genehmigt“ zu sein scheint, und als abergläubisch zu titulieren, gibt es aber nach wie vor. Es spiegelt sich auch in der bewussten (medialen) Desinformation über Heilpraktiker, Komplementärmedizin und Homöopathie wieder. (Kleiner Einschub: Erst gestern bin ich von einem Studienkollegen gefragt worden, ob Heilpraktiker angesichts der Berichterstattung überhaupt noch praktizieren dürfen – JA! Natürlich!).

Auf welche Seite hätte sich Kepler geschlagen? Auch das kann man ihn leider nicht mehr fragen. Obwohl Institutionen wie das KuK, die jku, Anhänger „evidenzbasierten Medizin“ und Kritiker der Komplementärmedizin gerne seinen Namen für ihre Zwecke verwenden, bin ich nicht sicher, ob er damit d’accord gegangen wäre. Kepler war ein Freigeist, der Dingen durch Experimenten auf den Grund ging. Er traute seinen Beobachtungen mehr als Ideologien. Er vertrat seine gewonnen Erkenntnisse und Überzeugungen mit Nachdruck auch wenn sie der politisch erwünschten Meinung widersprachen. Gerade deshalb kämpfte er vermutlich nicht nur für seine inhaftierte Mutter, weil sie sein Vorbild und eben seine Mutter war, sondern auch, weil er ihre Überzeugung bzgl. Phytotherapie teilte. Wahrscheinlich hätte er sich auch zum Thema Homöopathie eine eigene Meinung basierend auf eigenen Experimenten gebildet. Ich bin deshalb nicht sicher, ob er auf der Seite derer gestanden wäre, die ihn für ihre Zwecke vereinnahmen. Für mich ist sein Denken und Handeln jedenfalls Inspiration und Warnung zugleich.

Zum Abschluss noch ein soziologischer Exkurs: Was Kepler für Linz ist, ist Mozart für Salzburg: Ein ehemaliger, zeitweiser Einwohner und eine zur Identifikationsfigur verklärte Persönlichkeit – letztlich mit dem Ziel in der Homogenisierung und Stabilisierung der Machtverhältnisse durch Abgrenzung von außen (wer sich für das dahinterstehende soziologische Phänomen interessiert: Bridget Anderson hat das in ihrem lesenswerten Buch „Us and Them?“ wunderbar erklärt).

Das ist insoweit etwas schräg, als Kepler erstens ein sehr kritischer, unangepasster Mensch war, der Religion und Mathematik mit Leichtigkeit verband, sich gern selbst anhand von eigenen Erfahrungen (auch in der Medizin) eine eigene Meinung bildete und diese beharrlich vertrat, selbst wenn sie bei der herrschenden Elite nicht auf Gegenliebe stieß. Aufgrund dieser Eigenschaften (die ich bewundernswert finde) ist er als Namensgeber für eine Universität und Kliniken nur suboptimal geeignet.

Zweitens stammt er aus einer Gegend, die dem heutigen Deutschland zuzurechnen ist. Das gleiche Problem hat Salzburg übrigens mit Mozart. Das Museum im Mozarts Geburtshaus sieht sich deshalb gezwungen, einen aus meiner Sicht lustigen Erklärungstext auszuhängen, in dem lang und breit erklärt wird, warum Mozart eigentlich schon irgendwie Österreicher ist. Ähnlich macht das (wesentlich stilvoller) das Land Oberösterreich auf seiner Webseite, auf der extra betont wird, dass Kepler Österreich als sein (zweites) Vaterland und Linz als seine Heimatstadt betrachtet haben soll. Dabei arbeitete Kepler, während er in Linz wohnte, noch für den bayerischen Herzog Maximilian. Zudem unterscheidet sich das Österreich von damals sehr von der jungen Republik, die erst nach dem zweiten Weltkrieg gegründet wurde, auf die er sich also gar nicht bezogen haben konnte.

Und drittens ging Kepler mit dem Vorläufer des österreichischen Staats im Streit auseinander, wurde ihm doch sein ihm unbestritten zustehendes Gehalt trotz aller Bemühungen nie ausbezahlt, seine ihm persönlich und für seine Arbeit so wichtige Bibliothek beschlagnahmt, er trotz allem Fleiß zu einem Leben in Armut genötigt, seine Kinder gezwungen, katholische Gottesdienste zu besuchen usw. Er dürfte heilfroh gewesen sein, als er nach Regensburg gehen konnte.

Wieso deshalb gerade Kepler zum Ur-Linzer (v)erklärt wird und zu Marketingzwecken als Namensgeber ausgerechnet für Krankenhäuser und eine Universität herhalten muss, ist mir nur bedingt klar. Es ist fraglich, ob er darüber glücklich gewesen wäre. Aber seis drum. Ich muss ja nicht alles verstehen. :)

MEDIZINWELT
#Kepler #LinzErkunden

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