Das IMPP vergibt keine Lizenzen für künftige Prüfungsfragen mehr
Strategie im Umgang mit einem Taschenspielertrick
Für mich als in Österreich studierenden Menschen ist diese Neuerung eigentlich egal. IMPP-Fragen gibt es hier nicht. Trotzdem bin ich über einen Satz gestolpert, den ich kommentieren möchte: Viamedici, ein großes Lernportal für MedizinstudentInnen kommentierte in einem Newsletter, dass es die Entscheidung des IMPP begrüßt, keine Lizenzen für Prüfungsfragen mehr zu vergeben. Prinzipiell würde ich es auch begrüßen, wenn die steuerfinanzierte Anstalt des öffentlichen Rechts die Fragen kostenlos zur Verfügung stellen würde, statt sie zu verkaufen. In Zukunft werden sie aber gar nicht mehr herausgegeben. Die Begründung des Portals war, dass es die Qualität der Ausbildung und Prüfungen erhöhen würde. So so… Ob sie das Märchen selbst glauben oder ob hinter der Bewertung nicht eher ein gewisses Eigeninteresse steht (z.B. die Hoffnung, dadurch mehr Lizenzen für die Lernplattform verkaufen zu können) als dass es im Interesse der Kernzielgruppe liegt? Altfragen (egal ob vom IMPP oder aus anderen Quellen) sind unter MedizinstudentInnen beliebt. Und notwendig. Beliebt deshalb, weil ein gewisser Anteil so oder so ähnlich in der anstehenden schriftlichen oder mündlichen Prüfung wieder dran kommen könnte oder zumindest Prüfungsschwerpunkte widerspiegeln. Auch deshalb beliebt, weil die didaktische Qualität der Lehrveranstaltungen… optimierbar ist (wenn von 200 StudentInnen eines Jahrgangs gerade mal 5 in eine Lehrveranstaltung gehen, könnte man mal über eine Optimierung nachdenken). Zudem gleich das Medizinstudium einer Art Druckbetankung oder wie eine Studienkollegin sagte: „Es ist ein irres Tempo!“ In sehr kurzer Zeit sollen sehr viele Inhalte erlernt werden. Gleichzeitig kann man sich anders als in anderen Studiengängen üblich, nicht selbst seinen Stundenplan zusammenstellen und in eigenem Tempo lernen. (Bemerkung am Rande: Früher warben die Hochschulen übrigens damit, dass durch die eigenständige Planung die Eigenverantwortung, Selbstorganisation und Selbstständigkeit gefördert werden soll - anscheinend kein didaktisches Ziel der medizinischen Fakultät). Man muss also mit diesem Tempo mithalten. Will man alles gründlich durcharbeiten, hat man keine Chance. Man muss also Schwerpunkte setzen und effizient lernen. Schon allein deshalb sind Altfragen essentiell.
Dazu kommt: Prüfungen messen nicht den Wissensstand, sondern messen in erster Linie, wie gut man Prüfungen besteht. Das hilft einem nicht, wenn man durchgefallen ist, aber sagt auch nichts über Wissensstand oder die Kompetenz aus, wenn man bestanden hat. Zudem werden gerade in Medizinklausuren oft Logikfragen gestellt. Die Fragen enthalten auch haarspalterische Formulierungen, doppelte Verneinungen oder beziehen sich auf irrwitzige, irrelevante Details. Ohne Altfragen wird der Schwerpunkt eher dahingehend verschoben, dass sie messen, ob man mit Sprache und Logik zurechtkommt. StudentInnen mit anderen Muttersprachen als Deutsch haben es da schon mal schwerer, obwohl sie nicht weniger über medizinische Inhalte wissen und sie vielleicht sogar auf einem höheren Taxonomieniveau erlernt haben. Die Qualität der Prüfungen wird damit also schon mal nicht verbessert.
Und der Ausbildung? Auch wenn besagtes Lernportal anderes unterstellt: Altfragen auswendig lernen gehört dazu. Sie sind aber auch aus pädagogischer Sicht ein wichtiges Hilfsmittel beim Lernen. Die Lernunterlagen, die man bekommt, sind didaktisch leider nicht unbedingt der Hit (manche blättern sie bestenfalls durch), also benötigt man andere Unterlagen und Anregungen. Altfragen sind ein Teil davon. Sie stellen Anregungen dar, mit welchen Themen man sich beschäftigen sollte und welche Inhalte man sich erarbeiten sollte – wie ein roter Faden. Dazu kommt: Unser Gehirn liebt Rätsel – Altfragen sind nichts anderes. Durch das Lösen der Altfragen setzt man sich aktiv mit Themen auseinander und verinnerlicht sie. Damit lernt man in kürzerer Zeit mehr als mit dem bloßen Lesen eines Textes. Gäbe es andere Übungsaufgaben, könnte man diese vielleicht verwenden. Werden aber nicht angeboten. Die Qualität der Ausbildung wird damit also auch nicht verbessert.
Nachdem die bisherigen Altfragen weiter zugänglich sind, werden sie in den nächsten Jahren auch noch genutzt werden können. Und dann? Ich prognostiziere mal: In Zeiten, in denen Vernetzung und Kommunikation ein Schlüsselfaktor geworden sind, werden StudentInnen selbst anfangen, Altfragen zu sammeln – so wie es auch hier in Linz üblich ist. Bestehen oder nicht ist dann wie bisher nicht nur eine Frage des Wissens und Könnens, sondern der Integration. Ob man dann aber noch ein Lernportal benötigt, in dem es u.a. darum ging, offizielle Altfragen zu üben, wenn keine Altfragen mehr zu Verfügung gestellt werden? Das Erarbeiten mehr oder weniger gut aufbereiteter Informationen ist ja ganz nett, aber woran soll man sich dann noch orientieren? Ich bin gespannt, ob sich die Lernportale anpassen werden und z.B. Übungsaufgaben zu Verfügung stellen (idealerweise unispezifisch), sodass es auch den StudentInnen in Modellstudiengängen, in Österreich und anderen Ländern zu Gute kommt, in denen es sowieso keine IMPP Fragen gibt.
Fazit: Der verzweifelte Versuch Fragen geheim zu halten ist eigentlich von Vornherein zu Scheitern verurteilt. Er verbessert weder die Qualität der Ausbildung (weder Unterricht noch Unterlagen werden dadurch besser!), noch der Prüfung. Er verschiebt nur die Kriterien, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Integration und Kommunikation, Sprach- und Logikkenntnisse werden noch wichtiger. Damit wird auch die soziale Selektion zunehmen. Ein Trend, der schon mindestens die letzten 20 Jahre zu beobachten ist und der dadurch verstärkt wird. Schön wäre eine Veränderung, die zu messbaren Erfolgen bei der PatientInnenversorgung führt! Ich bin gespannt, ob und wie die gängigen Lernportale nun darauf reagieren und sich evtl. auch die Situation für StudentInnen an nicht IMPP-Unis bessert. :)
Außerdem lob ich mir da unsere Uni-Interne Altfragensammlung. Auch hier braucht es Integration, Kommunikation und Kooperation, aber immerhin es gibt sie. Danke an alle Linzer, die die Prüfungsprotokolle erstellen und die Altfragensammlung verwalten! :)
Wie wird das bei euch gehandhabt? Gibt es bei euch auch eine uni-interne Altfragensammlung? Wie bereitet ihr euch sonst auf Klausuren vor? Lehrveranstaltungen zusammenfassen? Oder studiert ihr in einem Regelstudiengang mit IMPP Prüfungen? Wie geht ihr damit um?
Würde mich interessieren – schreibt mir gerne! :)
H3PO4
STUDIUM